Wenn DNA Alarm auslöst

Die Zellen unseres Körpers sind vielen verschiedenen Bedrohungen ausgesetzt. Dazu zählen zum Beispiel virale Infektionen, Krebs und Betriebsunfälle in ihren Kraftwerken (Mitochondrien). All diese Bedrohungen haben gemeinsam, dass sie DNA-Doppelstränge (dsDNA) im Plasma der Zelle auftauchen lassen, wo diese nichts zu suchen haben. Dort signalisiert fremde Erbinformation höchste Gefahr. Auch eigene dsDNA sollte außerhalb des Zellkerns und der Mitochondrien nicht vorkommen. Wie unser angeborenes Immunsystem die Gefahr durch DNA am falschen Ort erkennt und abwehrt, blieb lange Zeit ein Rätsel. Die drei Preisträger haben es zwischen 2008 und 2013 gelöst und seitdem immer umfassender aufgeklärt. Sie entdeckten einen Signalweg, an dessen Beginn ein enzymatischer Sensor steht. Sobald er dsDNA im Zellplasma aufspürt, umklammert er sie. Dadurch verändert sich seine Form, so dass er die Bildung eines molekularen Boten katalysieren kann. Dieser Bote steuert einen intrazellulären Rezeptor an, der die Nachricht des Boten entgegennimmt und übersetzt, indem er bestimmten Genen im Zellkern ausrichten lässt: Stellt sofort Interferone her. Diese Interferone breiten sich im umliegenden Gewebe aus und rufen Hilfe herbei. Was diesen sogenannten cGAS-STING-Pathway auszeichnet, ist seine Universalität: Sein Sensor unterscheidet nicht zwischen externer und körpereigener dsDNA. Das verstößt gegen die Regel, wonach unser Immunsystem „fremd“ und „selbst“ eindeutig auseinanderhalten muss. Dieser Regelverstoß ist riskant, birgt er doch die Möglichkeit einer unbeabsichtigen Selbstzerstörung. Er bietet der Medizin aber eine doppelte Möglichkeit, therapeutisch in diesen Signalweg einzugreifen.

Täglich werden wir von Tausenden von Bakterien und Viren angegriffen. In den allermeisten Fällen wehrt unser Körper diese Angriffe erfolgreich ab. Das ist seinem angeborenen Immunsystem zu verdanken, das die Eindringlinge solange in Schach hält, bis seine Signale das erworbene Immunsystem aktiviert haben, dessen Antikörper und T-Zellen die Angreifer ausschalten. Bis dahin kann es einige Tage dauern. Ohne unsere angeborene Immunität würden wir diese Tage kaum überleben. Dennoch führte deren Erforschung lange ein Schattendasein. Während die Grundzüge der erworbenen Immunität im 20. Jahrhundert sehr genau aufgeklärt wurden, wusste man lange Zeit nicht, wie das angeborene Immunsystem mikrobielle Angriffe wahrnimmt. Das änderte sich erst durch Entdeckungen, die Jules Hoffmann und Bruce Beutler seit Mitte der 1990er Jahre unabhängig voneinander an Fliegen, die kein erworbenes Immunsystem haben, beziehungsweise an Mäusen machten. Zellen, die an der angeborenen Immunabwehr beteiligt sind, verfügen demnach auf ihrer Oberfläche über Rezeptoren (pattern recognition receptors = PRRs), mit denen sie molekulare Muster erkennen, die typisch für Pathogene wie Bakterien und Viren sind, im angegriffenen Organismus normalerweise aber nicht vorkommen (pathogen-associated molecular patterns = PAMPs). Die Bindung eines PAMP an einen PRR löst innerhalb der Zelle, auf der sie geschieht, eine Signalkaskade aus, die verschiedene Komponenten der angeborenen Immunität aktiviert. Die ersten PRRs, die die späteren Nobelpreisträger Hoffmann und Beutler entdeckten, waren Toll-ähnliche Rezeptoren (Toll-like receptors = TLR). Sie wurden so genannt, weil sie dem Protein gleichen, dessen Wirkung auf die Embryonalentwicklung der Fruchtfliege Drosophila Christiane Nüßlein-Vollhard (Medizinnobelpreis 1995) einst mit dem Ausruf „Das ist toll!“ bedacht hatte.

Hundert Jahre Ratlosigkeit
Die Entdeckung der ersten PRRs gab der Erforschung der angeborenen Immunität einen gewaltigen Schub, der im Laufe weniger Jahre zur Identifizierung vieler weiterer TLRs und anderer PRR-Familien führte. Darunter befanden sich auch Rezeptoren, die nicht in der Membran der Zelle verankert sind, sondern in deren Plasma patrouillieren, um Pathogene abzuwehren, die bereits ins Zellinnere eingedrungen sind. Dazu zählen die NOD-ähnlichen Rezeptoren, die auf Bakterien, und die RIG-I-ähnlichen Rezeptoren, die auf die RNA von Viren spezialisiert sind. Offen blieb aber die Frage, auf welche Art und Weise DNA im Zellplasma erkannt wird und eine Immunantwort triggert. Dass sie das tun kann, hatte Ilya Mechnikov schon bei der Verleihung des Medizinnobelpreises, den er sich mit Paul Ehrlich teilte, im Jahr 1908 berichtet. Erst einhundert Jahre später begann sich der Nebel um die Antwort auf diese Frage zu lichten.

Die Entdeckung von STING
2008 machte der Virologe Glen Barber mit seiner Gruppe an der Universität von Miami den Anfang dieser Enthüllung. Von dem Wissen ausgehend, dass PRR-Signalkaskaden in die Ausschüttung von Interferon-beta (IFN-ß) münden, begab er sich auf die Suche nach bisher unbekannten intrazellulären Urhebern der IFN-ß-Produktion. Dazu bediente er sich der Methode der Expressionsklonierung und brachte insgesamt 14.500 verschiedene Proteine je einzeln in Zellen einer Zellkultur ein. Deren IFN-ß-Gene koppelte er mit Enzymen, die Zellen, in denen IFN-ß produziert wurde, aufleuchten ließen. So konnte er die Stärke der Immunantwort auf jedes Protein messen. Auf den ersten Plätzen der Hitliste seiner Versuchsreihe landeten einige Bekannte aus vertrauten PRR-Kaskaden. Im Verfolgerfeld aber stach ein bisher unbekanntes Protein hervor. Barber isolierte es und zeigte: Mit 379 Aminosäuren schlingt es sich mehrfach durch die Membran des Endoplasmatischen Reticulums (ER). Er untersuchte die Funktion dieses Proteins in weiteren Zellkulturen und Knock-out-Modellen und fand bestätigt: Es ist nach einer Infektion mit DNA-Viren wie etwa Herpes simplex unverzichtbar für die Produktion von IFN-ß und anderen Zytokinen. Barber nannte es dementsprechend STING: Stimulator von Interferon-Genen.

Auf der Suche nach dem Sensor
So eindeutig die experimentellen Beweise für STINGs essentielle Rolle bei der Immunantwort auf dsDNA im Zellplasma auch waren, so offensichtlich war es doch, dass STING nicht direkt von dsDNA aktiviert wird. Es ist ein Signalumwandler, kein Sensor. Diesen Sensor und dessen Boten, der STING aktiviert, entdeckte Zhijian ‚James' Chen an der University of Texas Southwestern Medical Center in Dallas, indem er mit seiner Gruppe auf geniale Weise hochempfindliche biochemische Methoden mit ungeheurem Fingerspitzengefühl miteinander kombinierte. Zunächst schleuste er in die Zellen einer Kultur verschiedene Arten von DNA ein. Mittels RNA-Interferenz blockierte er darin alle von STING abgehenden Signale. Dann ließ er das so behandelte Plasma aus den Zellen dieser Kultur auslaufen und erhielt so einen zellfreien Extrakt. Diesen vermischte er mit Zellen einer anderen Kultur, deren Membran er chemisch durchlöcherte, so dass deren Plasma frei hinein und hinaus strömen konnte, deren Organellen aber intrazellulär intakt positioniert blieben. Wenn in dem mit DNA behandelten STING-blockierten Extrakt ein Molekül gebildet wird, das eine Botschaft an STING überbringt, so Chens Überlegung, dann aktiviert es das unblockierte STING in den durchlöcherten Zellen und bewirkt dort die Bildung von Interferonen. Und so war es. Überraschenderweise blieb dieses Boten-Molekül nach einer Erhitzung auf 95 Grad Celsius aktiv, die fast kein Protein überleben kann. So stellte sich heraus, dass dieser Bote das kleine ringförmige Dinucleotid cGAMP ist. Das Enzym, das die Bildung von cGAMP ermöglicht, musste demnach der gesuchte DNA-Sensor sein. In einem Extrakt, der voll von anderen Proteinen ist, kommt diese cGAMP-Synthase (cGAS) jedoch nur in so verschwindend geringer Menge vor, dass es ein außerordentliches biochemisches Kunststück war, sie aufzureinigen, zu isolieren und als 522 Aminosäuren umfassendes Protein zu charakterisieren.

Ein ganz besonderer Bote
Im Dezember 2012 publizierte das Fachmagazin Science zwei Monate vor dem Druck online Chens Entdeckung des DNA-Sensors cGAS und des Dinucleotids cGAMP als dessen Second Messenger . Ungefähr vier Monate später wurden detailgenaue Beschreibungen des Herstellungsprozesses und der chemischen Struktur des von cGAS katalysierten Botenstoffs cGAMP publiziert. In der Art seiner Herstellung wie in der Bindung zwischen seinen beiden Bausteinen unterschied er sich von bisher bekannten bakteriellen Dinucleotiden. Das hatte Andrea Ablasser entschlüsselt, die erst wenige Jahre zuvor ihr Medizinstudium abgeschlossen hatte. Für diese Leistung wurde sie 2014 mit dem Paul Ehrlich und-Ludwig Darmstädter-Nachwuchspreis ausgezeichnet.

Ein Meilenstein der immunologischen Forschung
Die Entdeckung des cGAS-STING-Signalweges markierte einen Meilenstein in der Erforschung der angeborenen Immunität. Von diesem Meilenstein ausgehend, haben alle drei Preisträger die Verzweigungen des von ihnen entdeckten Weges immer genauer kartiert und der Medizin damit bisher verborgene therapeutische Pfade erschlossen. Wenn cGAS im Zellplasma dsDNA aufspürt, binden sich je zwei seiner Moleküle an zwei DNA-Stränge. So entstehen leiterähnliche Strukturen, die sich in Flüssigkeitströpfchen separieren, welche notwendig sind, damit cGAS vorher unzugängliche Reaktionstaschen öffnet. Darin finden sich GTP und ATP zusammen, um in einem zweistufigen Prozess zum Botenmolekül cGAMP verbunden zu werden. cGAMP umflutet daraufhin STING. Über Kanäle zwischen Zellen – Gap Junctions – erreicht es auch Nachbarzellen. Die STING-Rezeptoren werden durch die Bindung von cGAMP so verformt, dass sie sich aus der ER-Membran lösen und zu den ihnen nächstgelegenen intrazellulären Chemiefabriken, den Golgi-Apparaten, schwimmen. Dort wird ihnen eine Fettsäure angehängt, die ihnen die Lizenz gibt, wartende Signalmoleküle durch Markierung mit Phosphatgruppen in die Alarm-Stafette einzubeziehen. Das Ziel dieser Stafette sind diejenigen Chromosomen im Zellkern, auf denen die Gene liegen, nach deren Plan IFN-ß und andere Zytokine produziert werden. Diese Moleküle vermitteln dann die Antwort des Immunsystems auf mikrobielle Angriffe, indem sie unter anderem die Aktivität von Freßzellen, dendritischen Zellen und natürlichen Killerzellen anregen. Sie sind auch gegen Tumore aktiv.

Abwehrbereitschaft mit Risiko
Der cGAS-STING-Signalweg ist uralt. Über Millionen von Jahren blieb er in den meisten mehrzelligen Organismen nahezu unverändert. Weil nämlich cGAS mit jeder dsDNA unabhängig von deren Sequenz interagiert, springt er bei jedem Angriff sehr schnell und zuverlässig in die Bresche. Diese sofortige Abwehrbereitschaft zeigt er dementsprechend auch gegen körpereigene dsDNA. Um das daraus resultierende Risiko zu minimieren, vom eigenen Immunsystem angegriffen zu werden, hat die Evolution unseren Zellen Regulationsmechanismen zum Selbstschutz eingebaut. So ist unsere Eigen-DNA unter normalen Bedingungen streng kompartmentalisiert: Sie kommt nur im Zellkern und in den Mitochondrien vor. Und wenn sich während der Zellteilung (Mitose) die Grenze zwischen Kern und Plasma vorübergehend auflöst, bleibt eigene DNA im Schutz ihrer Chromatin-Verpackung dem Zugriff von cGAS entzogen. Weiterhin sorgen spezialisierte Enzyme (Nucleasen) für einen kontinuierlichen Abbau fehlplatzierter Eigen-DNA. Auch gibt es für ihre Konzentration und Stranglänge Schwellenwerte, die dsDNA im Zellplasma erreichen muss, damit cGAS anspringt. Diese Werte werden von eigener dsDNA seltener erreicht als von fremder. Allerdings hat die Natur offenbar nicht vorgesehen, dass wir Menschen einmal so lange leben würden, wie wir es heute tun. Je älter wir werden, desto häufiger versagen die Regulationsmechanismen zum Schutz eigener DNA vor cGAS. „Die Gene des cGAS-STING-Signalweges gehören zu den pleiotropen Genen, die anfangs für das Überleben wichtig sind, aber in späteren Jahren und auch im Zuge der Veränderung unseres Lebensstils zu Krankheiten führen können“, erläutert Andrea Ablasser.

Zwei therapeutische Optionen
Erbliche Formen der Schüttellähmung Morbus Parkinson zum Beispiel gehen mit einer Unfähigkeit bestimmter Nervenzellen einher, beschädigte Mitochondrien zu entsorgen. Infolgedessen sammelt sich mitochondriale DNA im Zellplasma an. Das alarmiert den Sensor cGAS, der daraufhin über cGAMP und STING als Immunantwort eine zerstörerische Entzündung im Nervengewebe hervorruft. Wahrscheinlich liegt besonders bei älteren Menschen eine Aktivierung des cGAS-STING-Weges vielen sogenannten sterilen Entzündungen zugrunde, die nicht infektiös bedingt sind. Solche Entzündungen können neben neurodegenerativen Krankheiten vermutlich auch Herzinsuffizienz, Diabetes und andere Autoimmunkrankheiten verursachen. Die Entwicklung von Substanzen, die den cGAS-STING-Signalweg hemmen, hat deshalb großes therapeutisches Potential. Andrea Ablasser gelang 2018 mit ihrer Gruppe die Synthese des ersten STING-Inhibitors.

Umgekehrt werden Agonisten des cGAS-STING-Weges präklinisch bereits als Krebsmedikamente erprobt. Sie zeigen im Tierversuch starke Antitumor-Effekte, insbesondere in Kombination mit Checkpoint-Inhibitoren. Denn das Genom von Krebszellen ist auch wegen ihrer hohen Teilungsgeschwindigkeit meist nicht sehr stabil. Diese Instabilität führt zum Auftauchen von körpereigener dsDNA im Zellplasma. Infolgedessen springt der cGAS-STING-Weg an und gibt dem Körper die Möglichkeit, Krebszellen über die Produktion von Interferonen auszuschalten. Außerdem kann cGAS-STING eine Tumorentwicklung dadurch unterdrücken, dass es Krebszellen in den Zustand der Seneszenz versetzt, ihre Fähigkeit zur Zellteilung also dauerhaft unterbindet. Beim pharmakologischen Einsatz von Agonisten ist dennoch Vorsicht geboten, denn manche Tumoren haben gelernt, den cGAS-STING-Weg zu ihrem Vorteil zu nutzen. Auch muss das Risiko eines Zytokinsturms so gering wie möglich gehalten werden.

Auch wenn der Weg zu zugelassenen Antagonisten und/oder Agonisten von cGAS oder STING noch weit ist, so wird er doch längst von vielen Pharmaunternehmen beschritten. Denn mit seinen strukturell klar definierten Zielmolekülen zählt der von den Preisträgern entdeckte und entschlüsselte Signalweg zu den attraktivsten Herausforderungen der gegenwärtigen Pharmaforschung.

FOTOS PREISVERLEIHUNG 2025

VIDEO PREISVERLEIHUNG 2025